Rassismus ist ein struktuerelles und systemisches Problem, welches die Erfahrungen und Leben von nicht-Weißen Migrant*innen und Menschen mit Fluchterfahrung stark prägt. BIPoC (Black People, Indigenous People, People of Color) machen kontinuierlich darauf aufmerksam, dass Rassismus nach wie vor tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Doch was genau hat Rassismus mit dem Umgang mit Migrant*innen in Europa und vor allem in Deutschland zu tun? Wir fassen hier die wichtigsten Punkte zusammen:
Worte sind wichtig
Expat oder Migrant*in? Eigentlich gibt es zwischen den beiden Worten inhaltlich keinen großen Unterschied. Expat kommt ursprünglich aus dem Englischen, wird aber mittlerweile auch im deutschen Sprachraum benutzt. Das Oxford Learner’s Dictionary sagt, ein*e Expat ist „eine Person, die in einem Land lebt, welches nicht das eigene ist“. Ein*e Migrant*in ist „eine Person, die kommt, um langfristig in einem Land zu leben, welches nicht das eigene ist.“
Trotzdem gibt es im allgemeinen Sprachgebrauch einen entscheidenden Unterschied wie diese beiden Worte verwendet werden. Wenn sich ein Weißer Mensch aufmacht, in einem anderen Land ein besseres Leben und/oder Job zu finden, dann wird dieser Mensch von sich selbst und anderen meistens als Expat bezeichnet. Wenn ein nicht-Weißer Mensch das Gleiche tut, ist die Person ein*e Migrant*in.
Die unterschiedliche Wortwahl ist kein Zufall, sondern es gibt eine klare Hierarchie zwischen den beiden Worten. Das Wort Migrant hat mittlerweile durch z.B. die Medien eine negative Konnotation, während „Expat“ positiv geprägt ist. Der Togolesische Journalist Mawuna Remarque Koutonin schreibt, dass das Wort Expat nur existiert, um Weiße Migrant*innen über nicht-Weiße zu stellen. Wenn eine nicht-Weiße Person, die ihr Land verlässt, als Migrant*in und eine Weiße Person als Expat bezeichnet wird, stellt man dadurch gleich erstmal klar, dass eine der beiden erwünschter und besser als die andere ist.
(Artikel auf Deutsch: https://www.migazin.de/2019/03/29/ueber-hierarchische-worte-oder-afrikanische-migranten-und-europaeische-expats/, auf Englisch: https://www.theguardian.com/global-development-professionals-network/2015/mar/13/white-people-expats-immigrants-migration)
Rassistische Außenpolitik
Der Bundesinnenminister Horst Seehofer betont immer wieder, dass wir ein Zeichen setzen müssen, damit nicht noch mehr Migrant*innen versuchen nach Europa und Deutschland zu kommen. In einem Interview 2018 sagte er„eine Zurückweisung [...] an der deutsch-österreichischen Grenze hätte zu einem Dominoeffekt bis zur EU-Außengrenze geführt. Damit wäre ein Signal gesetzt worden.“ Hierbei stellt Seehofer seine Abschreckungspolitik auch gerne einmal der Migration „als Problem“ gegenüber.
Doch es geht hier nicht darum, alle Migrant*innen abzuschrecken. Obwohl der Großteil der Migrant*innen, die 2018 nach Deutschland kamen, aus einem anderen EU-Staat wie Rumänien, Kroatien und Bulgarien kamen, sind das nicht die Menschen, die die Politik als „Problem“ sieht. Das „Problem“ sind die Menschen, die aus arabischen oder Sub-Sahara-Ländern kommen. Es sind die Menschen, die an den EU-Außengrenzen entgegen des internationalen Rechts auf Asyl abgewiesen werden. Es sind die Menschen, die auf den griechischen Inseln in menschenunwürdigen Camps leben müssen.
Die Unterteilung, wer nach Deutschland kommen darf und wer weg bleiben soll, ist kein Zufall, sondern die Fortführung einer jahrhundertalten Struktur des Rassismus, die festlegt, dass Weißen Menschen mehr Menschenwürde garantiert wird als nicht-Weißen Menschen. Es ist nicht vorstellbar, das tausende Weiße Nord-Amerikaner*innen jahrelang in Zelten ohne zureichende Grundversorgung leben müssten.
Rassismus im Alltag
Auch für diejenigen, die es irgendwann schaffen, in die EU und speziell Deutschland einzureisen und eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, bleibt Rassismus eine ständige Alltagserfahrung. Das geht von alltäglichen Beschimpfungen und Mikroaggressionen, über Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt bis hin zu lebensbedrohlicher Gewalt.
Die “Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle” dokumentiert seit 2015 alle Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte in Deutschland. Seit der letzten Aktualisierung Ende 2020 zählt das Register 10.942 Angriffe (als Angriffe werden alle Anschläge auf Unterkünfte, körperliche Attacken auf Menschen sowie öffentliche, verbale Kundgebungen und Demonstrationen gegen Asylbewerber*innen gezählt). Das bedeutet, in den letzten 6 Jahren gab es durchschnittlich 5 Angriffe auf Asylsuchende pro Tag (Angriffe auf nicht asylsuchende Migrant*innen wurden nicht mitgezählt). Rassismus in Europa und Deutschland tötet, nicht nur auf dem Migrationsweg und an den Außengrenzen, sondern auch im Landesinneren.
Hinzu kommt institutioneller Rassismus. Eine Studie der Universität Tübingen zeigt auf, dass Rassismus im deutschen Arbeitsmarkt ein echtes Problem für nicht-Weiße Migrant*innen und Menschen mit Fluchterfahrung darstellt. Dies äußert sich auf viele unterschiedliche Arten, z.B. diskriminierende Bemerkungen in Berufsschulen und am Arbeitsplatz, eine erschwerte Arbeitsplatzsuche durch bürokratische Maßnahmen und soziale Ausgrenzung. Die Folgen sind oft Arbeitslosigkeit, der Zwang eine Tätigkeit auszuüben, für die man überqualifiziert ist und psychischer Druck.
Was wir tun können
Rassismus ist ein komplexes Problem, das seit Jahrhunderten im Zusammenhang mit dem kapitalistischen System aufrechterhalten wird. Es gibt viele Facetten, die wir in diesem Blogpost nicht aufzeigen konnten. Doch am Ende gibt es eine wichtige Schlussfolgerung: Rassismus ist ein Problem, dass von Weißen Menschen gelöst werden muss, denn wir halten es für unseren Vorteil aufrecht, auch wenn wir nicht aktiv rassistisch handeln.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir die Situation verbessern können. Zuerst sollten wir uns selbst informieren um unsere eigenen erlernten Vorurteile zu verstehen. Wir können Bücher lesen, Podcasts hören, betroffenen Menschen zuhören, etc. In einem früheren Blogpost haben wir schon einmal eine Liste von Ressourcen zusammengestellt, mit denen man anfangen kann. Zweitens, sollten wir Gespräche mit unseren Weißen Freunden, Familienmitgliedern, Nachbarn, etc. führen, um gegenseitig voneinander Rassismus zu „verlernen“. Das Thema darf kein Tabu sein! Drittens, können wir Politiker*innen kontaktieren und Druck auf sie ausüben, Rassismus strukturell zu bekämpfen. Viertens, können wir Organisationen unterstützen, die bereits tatkräftig zur Bekämpfung von Rassismus in Deutschland und Europa beitragen.
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